Für diesen Talk sprach Witty Co-Gründerin Nadia Fischer mit Robert Öllinger. Robert ist ursprünglich Jurist und ist seit 2018 Consultant im Bereich Barrierefreiheit. Dort arbeitet dey bei myAbillity als DisAbillity Consultant Manager. Robert leidet am Usher-Syndrom, ein seltener Gen-Defekt. Robert wurde mit einer schweren Gehörminderung geboren, die sich im Laufe seines Lebens verschlechtert hat. Vor circa zwei Jahren verlor dey nach einem Hörsturz vollständig sein Gehör. Seither kommuniziert dey durch Gebärdensprache. Deshalb war auch Martina Gabmeier zu Gast in diesem Gespräch, sie ist Dolmetscherin in Gebärdensprache. Das Usher-Syndrom beeinträchtigt auch sein Sehvermögen.
Die Gebärdensprache ist eine visuelle Sprache. Man hört sie nicht, sondern es sind Zeichen, die mit den Händen gemacht werden. Die Gebärdensprache besteht aus drei Teilen, nämlich aus den Gebärden selbst, der Mimik und dem Mundbild.
Wie gesprochene Sprache ist sie, je nach Land, eine andere Sprache. Und wie gesprochene Sprache sind diese unterschiedlich in Grammatik, Aufbau und Vokabeln. Zudem haben die einzelnen Sprachen teilweise spezifische regionale Dialekte. Um Missverständnisse unter den verschiedenen Dialekten und Sprachen zu verhindern, ist das Mundbild sehr wichtig. So kann am Mund abgelesen werden, welches Wort gemeint ist. Die Mimik ist wichtig, damit die Emotionen ergriffen werden können, denn es kann nicht mit den verschiedenen Stimmlagen gearbeitet werden.
Viele Menschen assoziieren einen Rollstuhl mit Behinderung: Jedoch nutzen lediglich 0,5% der Bevölkerung einen. Ca. 18% der Weltbevölkerung sind behindert. Es betrifft also sehr viel mehr Menschen, als wir annehmen. Viele Unternehmen übersehen dies. Für Unternehmen hat es also einen grossen Vorteil, inklusiv und barrierefrei zu sein. Wenn ein Unternehmen barrierefrei ist, dann ist dies für das Unternehmen ein USP (Unique Selling Proposition). Ein Unternehmen ist also automatisch attraktiver für Menschen mit Behinderung, wenn es auch zugänglich ist für diese. Das kann durch Gebärdensprachendolmetscher, barrierefreie Raumgestaltung oder spezielle Software sein. Durch solche Massnahmen wird die Kundenzielgruppe grösser (wie gesagt: 18% der Weltbevölkerung hat eine Behinderung - damit ist das ein wichtiger Teil der Einnahmequellen).
Zudem können durch Barierefreiheitsmassnahmen auch Talente angezogen werden. Oft schliesst man Talente aus, lediglich weil sie eine Behinderung haben, obwohl sie eigentlich mehr als qualifiziert sind. Dort steckt eine gewisse Berührungsangst dahinter.
Bei Menschen mit Behinderung wird ein Grad der Behinderung festgestellt. Wenn dieser Grad hoch ist, gehen viele Unternehmen davon aus, dass diese Personen komplett arbeits- und leistungsunfähig sind. Teilweise wird das sogar fälschlicherweise in Arztzeugnissen so angegeben. Die Leistungsfähigkeit hängt jedoch nicht ausschliesslich von der Behinderung ab. Sie ist nämlich stark abhängig vom Umfeld. Stellt ein Unternehmen die Barrierefreiheit nicht sicher, werden eigentlich leistungsfähige Personen in ihrer Arbeit “behindert”. D.h. es ist nicht die Person selbst, sondern das Umfeld, dass sie leistungsunfähiger macht.
Bei vielen Unternehmen besteht auch die Angst, dass man Menschen mit Behinderungen nicht mehr «los wird». In der EU ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass ein gewisser Anteil an Menschen mit Behinderungen in Unternehmen arbeiten. Unternehmen gehen also davon aus, dass wenn diese Person nicht ins Team passt, man sie nicht mehr entlassen kann. Dies ist jedoch ein grosser Mythos. Wie bei jeder anderen Person kann man Entlassungen tätigen, solange die Behinderung nicht der Entlassungsgrund ist.
Zusätzlich dazu kommt die Annahme, dass Barrierefreiheit teuer, kompliziert oder durch Umsetzungsproblematiken gehindert wird. Es ist jedoch meist nicht so schwierig, wie sich das viele ausmalen. In der DACH-Region werden Unternehmen, welche für Mitarbeitende mit Behinderungen spezielle Arbeitsmittel benötigen, von Ministerien gefördert und unterstützt. Zudem hat sich auch erwiesen, dass Installationen (analoger oder digitaler Art), die für Menschen mit Behinderungen umgesetzt wurden, auch anderen Mitarbeitenden in vielen Fällen zugute kommt, denn sie machen die Arbeit oft physich oder intellektuell zugänglicher für alle.
Für Unternehmen gibt es Firmen, die sich auf Beratung rund um Barrierefreiheit spezialisiert haben, wie myAbillity. myAbillity ist eine soziale Unternehmensberatung, die den Schwerpunkt auf Inklusion und Barrierefreiheit legt. Sie begleitet Unternehmen in ihrem Prozess zur Barrierefreiheit und Inklusion.
Es gibt kleine Schritte, die getätigt werden können, mit denen schon ein grosser Erfolg erzielt werden kann. So zum Beispiel:
Der erste Schritt ist immer die Offenheit. Man muss ein offenes Mindset haben, um zur Inklusion zu gelangen. Der nächste Schritt ist die Awareness. Dass das Wissen etabliert wird, welche Worte am besten gebraucht werden, wie man diese Themen bespricht. Hier sind Coaching oder Referate sicher keine schlechte Idee. Etwas ganz Wichtiges ist auch die Sichtbarkeit. Dass eben mal aufgezeigt wird, wo überhaupt Hindernisse für Menschen mit Behinderungen sind.
Das Wichtige ist es, die ersten Schritte zu gehen. Wenn der erste Schritt gegangen ist, ist der zweite und dritte relativ automatisch. Was hier aber auch erwähnt werden muss, ist, dass man relativ schnell erste Erfolge erzielt. Aber bis ein Unternehmen wirklich inklusiv ist, dauert es länger und man braucht Geduld. Und diese Inklusion muss auch tagtäglich angepasst werden, denn unser Umfeld verändert sich stetig.
Robert Öllinger, myAbility Consultant Manager
Bei der Sprachel gibt es zwei verschiedene Thesen.
In Mitteleuropa existiert stark der ‘Human First’ Gedanke. In den USA dagegen hat sich der ‘Identity First’ Gedanke eher durchgesetzt.
Das Wichtige hierbei ist, dass man eine Behinderung nur dann erwähnt, wenn sie überhaupt nötig ist. Schliesslich ist dies zwar ein Teil der Identität dieser Person, aber es ist nicht das, was sie ausmacht. Ich muss also nicht von meiner “Nachbarin mit nur einem Bein” sprechen, wenn ich jemand Drittem davon erzähle, welchen Arbeitstag sie hatte.
Wir dürfen die Identität und Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung aber auch nicht übersehen. Schliesslich verlangt sie von betroffenen Personen viel Flexibilität und Kreativität.
Allgemein ist es so, dass noch viele Begriffe in unserer Sprache sehr veraltet sind. Worte wie ‘taubstumm’, ‘besondere Bedürfnisse’, ‘an den Rollstuhl gefesselt’ sind schädigend für ein inklusives Umfeld.
Die Wertschätzung und der Respekt ist wichtig. Wir sollten die Menschen jedoch auch nicht heroisieren, weil sie alltägliche Aktivitäten ohne Weiteres bestreiten. Auch sollten wir sie nicht als Opfer behandeln, sondern einfach wie jeden anderen Menschen.
Robert Öllinger zum Thema Menschen mit Behinderung